In meiner Kindheit verbrachten wir regelmäßig die Sommerferien am Westerwerkersee, den mein Großvater gepachtet hatte. Dort waren wir frei. Wir spielten, tobten und träumten uns in andere Welten. Und wir machten Unsinn. Nichts Verwerfliches, aber wir taten das, wonach uns war. Und wir waren draußen an der frischen Luft – gefühlt immer und immer in Bewegung.
In meiner Kindheit verbrachten wir regelmäßig die Sommerferien am Westerwerkersee, den mein Großvater gepachtet hatte. Dort waren wir frei. Wir spielten, tobten und träumten uns in andere Welten. Und wir machten Unsinn. Nichts Verwerfliches, aber wir taten das, wonach uns war. Und wir waren draußen an der frischen Luft – gefühlt immer und immer in Bewegung.
Das Ufer des Sees war nur durch einen dichten Wald erreichbar. Kein Wald mit vorgefertigten Trampelpfaden oder kleinen Schildchen, die einem den Weg wiesen. Es war ein dichter Wald, der für andere fast überall gleich aussah, der dicht bewachsen und durch die Nähe zum Wasser oft morastig war. Ein Wald, in dem sich Unkundige bestimmt verlaufen hätten – wir aber nicht. Wir kannten jeden Baum, jede Nische. Wir kannten den schnellsten, aber auch den längsten Weg zu unserem Ziel. Wenn wir denn eins hatten.
Denn die meiste Zeit rannten wir ziellos umher. Wir hatten keine Pläne, keine bestimmte Uhrzeit, zu der wir irgendwann und irgendwo sein mussten. Wir hockten uns gemeinsam dorthin, wo es uns gefiel oder wo wir den spannendsten Untergrund zum Buddeln fanden. Wir sammelten Holz und Stöcker, um uns kleine Waldhöhlen zu bauen, wir beobachteten die Käfer, wie sie sich mühsam die Bäume hochschleppten. Wir bauten kleine Brücken über matschige Stellen im Waldboden. Wir kletterten in die Bäume und ermutigten uns gegenseitig, noch ein wenig höher hinauf zu steigen als am Tag zuvor. Wir schlugen uns mit Stöcken den Weg durch dichtes Gehölz frei. Und das von morgens bis abends.
Die besten und auch stärksten Erinnerungen an meine Kindheit am See sind Abenteuer. Nicht die Fahrten zum Ort oder das leckere Essen, das es dort auch nach einem spannenden Tag im Wald gab. Es sind die pieksenden Fichtennadeln an den nackten Füßen, wenn wir uns durch den Wald schlugen. Es sind die Mutproben, die ich bestanden habe und das gute Gefühl danach. Es ist der Geruch von Matsch und Fichtennadeln, der an den Beinen klebte, nachdem wir stundenlang einfach nur gespielt, getobt und geträumt hatten. Es sind die zerkratzen Beine, die ich regelmäßig vom Toben durch das dichte Unterholz hatte.
Heute wissen wir, wie wichtig dieses Spielen in der Natur, diese Freiheit, dieses Erleben für die Entwicklung von Kindern ist. Matschen, klettern, erkunden – und das ohne Vorgaben oder Beschränkungen. Kinder spielen nicht einfach nur zum Spaß, auch wenn es sich so anfühlt. Sie lernen dabei. Sie trainieren ihre Sinne. Sie bilden ihre motorischen Fähigkeiten weiter aus.
Sie lernen sogar Grundkonzepte der Mathematik und Physik kennen: Forscher haben herausgefunden, dass kleine Kinder in der freien Natur die Hälfte der Zeit mit Zählen, Sortieren und dem Entdecken von Formen und Mustern verbringen. Natürlich nicht bewusst und es ist ihnen auch völlig egal. Aber sie tun es. Ganz nebenbei und nachhaltig – und vor allem mit jeder Menge Spaß.
Heute laufe ich nicht mehr barfuß durch den Wald. Ich klettere auch nicht mehr auf Bäume oder verkrieche mich in selbstgebaute Höhlen. Aber das muss ich auch gar nicht. Denn ich hab es ja getan. Und vor allem habe ich die Erinnerungen daran. Und die sind so lebendig, dass ich das Gefühl habe, die pieksenden Nadeln immer noch unter meinen Füßen zu spüren, wenn ich an diese wundervollen Erlebnisse denke.
In der Kolumne Rückblick berichtet Gastautor Peter Borgward regelmäßig über persönliche Erlebnisse.
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